Spiritualität – die einen verstehen darunter ihre persönliche Sinnsuche, den anderen kommt bei dem Begriff Spiritualität das Bild von einem asketisch lebenden Guru in den Sinn.
Welche positiven Effekte hat Spiritualität auf uns?
Spiritualität ist etwas sehr Persönliches
Vorbehalte gegen Religion und Spiritualität
Der Unterschied zwischen Religion und Spiritualität
Früher war Spiritualität untrennbar mit einer Religion verbunden und wurde gleichgesetzt mit „Frömmigkeit“. Nur gottgläubige Menschen galten als spirituell. Menschen also, die regelmäßig in die Kirche gingen, einen Gott anbeteten, sich an Gebote hielten und ein frommes Leben führten.
Die Herkunft des Wortes „Religion“ geht auf die lateinischen Verben „relegere“ (sorgfältig beachten) und „religio“ (= Kult, Verehrung, Religionswesen) zurück. Bereits in der Antike wurden beide Begriffe im Zusammenhang mit dem „Vollzug von kultischen Vorschriften“ und die „sorgfältige Beobachtung“ dessen, was Gott oder Götter wollen, gebraucht. In diesem Sinn ist „religio“ die Erfüllung dessen, was „angeordnet“ ist.
Der Begriff „Spiritualität“ ist nicht nur älter als der, der „Religion“, er greift auch weiter und beinhaltet (Selbst-)transzendenz. Was wir heute unter Spiritualität verstehen, lehnt sich an den vorbiblischen, hebräischen Begriff „ruah“ (= Wind, Geist oder Atem) an. Damit ist gemeint, dass etwas in Bewegung ist oder über eine Kraft verfügt und anderes in Bewegung setzt. Die Ursache dafür wird vorbiblisch nicht beschrieben. Erst in der Bibel wird diese Kraft Gott zugeschrieben.
Insofern geht unser heutiges Verständnis von Spiritualität wieder zurück – zu seinen Wurzeln.
Was ist Spiritualität denn nun – einfach erklärt?
Spirituelle Menschen gehen davon aus, dass es eine höhere Instanz und eine „transzendente“ Existenz des eigenen Seins gibt. Transzendenz bedeutet „jenseits der Erfahrung, oder des Gegenständlichen Liegendes“. Es geht bei Spiritualität also ganz allgemein gesprochen um das Überschreiten der Grenzen des Diesseits – einer Art Erweiterung des Bewusstseins.
Wer sich auf den spirituellen Weg begibt, versucht die Grenzen des irdisch-erfahrbaren zu überschreiten, um dem „Überirdischen“, oder „Göttlichen“ nahe zu sein. Um diese Fähigkeit zu entwickeln, praktizieren Gläubige regelmäßig spirituelle Übungen. Am häufigsten ist das eine Form der Kontemplation, also innerer Versenkung, wie beispielsweise in der Meditation. Doch es gibt noch viele weitere Möglichkeiten.
Was macht Spiritualität mit uns?
Spiritualität zu praktizieren soll sich laut Forschungsergebnissen sowohl positiv auf unser körperliches, geistiges und auch unser seelisches Wohlbefinden auswirken. Doch woran liegt das?
Spiritualität und körperliches Wohlbefinden
Die Ergebnisse sind verblüffend. Laut Studien sollen gläubige Menschen, die viel Hoffnung und Trost aus ihrem Glauben ziehen, die ersten 6 Monate nach einer Herzoperation dreimal so häufig überleben, wie ihre weniger gläubigen Mitmenschen. Auch sind sie insgesamt gesünder und kommen mit schweren Krankheiten besser zurecht. Woran das genau liegt, hat die Forschung aber noch nicht final klären können.
Ein möglicher Grund könnte es sein, dass Glaubensgemeinschaften teilweise einen gesunden Lebensstil propagieren und ungesunde Gewohnheiten wie beispielsweise Alkohol, Tabak und Drogen verbieten. Doch gläubige Menschen scheinen auch ganz ohne diese Verbote gesünder zu leben. Laut Studien rauchen und trinken sie grundsätzlich weniger, als ihre Mitmenschen – selbst wenn ihnen das ihre Religion nicht ausdrücklich untersagt.
Spiritualität und geistiges Wohlbefinden
Spirituelle und religiöse Menschen berichten häufig darüber, dass sie durch ihre Gebete, Meditationen und anderen kontemplativen Übungen zu mehr Klarheit und Gelassenheit gelangt sind. Sie erleben sie als Kraftquellen, aus denen sie für ihren stressigen (Arbeits-) Alltag neue Energie, Hoffnung und Mut schöpfen können.
Seitens der Forschung ist es empirisch belegt, dass spirituelle Menschen zum Beispiel mehr Kraft, Hoffnung, Mut, Vertrauen, Liebe und inneren Frieden verspüren, als ihre Mitmenschen.
Spiritualität kann demzufolge nicht nur bei der Bewältigung einer Krankheit helfen, sondern ganz allgemein unser Wohlbefinden steigern. Gelebte Spiritualität setzt Vitalität frei, bewirkt ein höheres Maß an mentaler Ausgeglichenheit und stärkt die inneren Widerstandskräfte.
Spiritualität und seelisches Wohlbefinden
Spiritualität ist vor allem eines: die Verbindung zwischen dem Menschen und einer höheren Instanz. Diese zeichnet sich vor allem durch grenzenlose Unterstützung aus. Manche bezeichnen oder empfinden das auch als einen Ausdruck von bedingungsloser Liebe.
Gläubige fühlen sich dadurch sicher und geborgen, angenommen, behütet und bedingungslos geliebt. Dieses Gefühl lässt viele Trost in schweren Zeiten finden, gibt ihnen Ruhe, Gelassenheit und inneren Frieden.
Wer anerkennt, dass es eine höhere Kraft gibt, die alles hervorbringt und sich als Teil dieses größeren (göttlichen) Plans erlebt, sieht auch Sinn hinter alltäglichen Dingen und hinter seinem eigenen Schicksal.
Spiritualität und Glück
Eine Befragung des National Opinion Research Center General Social Survey ergab: 47% aller Gläubigen, die mehr als einmal die Woche einen Gottesdienst besuchten, hielten sich für „sehr glücklich“. Von denjenigen, die nur einmal im Monat, oder seltener in die Kirche gingen, hielten sich nur 28% für „sehr glücklich“. Woran liegt das?
Häufig wird in religiösen oder spirituellen Gemeinschaften gemeinsam meditiert oder gebetet. Daraus erwächst oft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Verbundenheit und der gegenseitigen Unterstützung. Nicht selten entstehen daraus Freundschaften. Man trifft sich, unterstützt sich gegenseitig und hilft anderen. Gemeinsam tut man Gutes, unternimmt etwas miteinander, ist sozial aktiv und vergrößert sein Netzwerk an „Seelenverwandten“.
Studien zeigen auch, dass religiöse, oder auch spirituelle Menschen eher bereit sind zu vergeben. Außerdem erleben viele durch ihre spirituelle Praxis häufig positive Gefühle wie Staunen, Liebe, Freude oder Ekstase. Gefühle also, die das Glück steigern können.
Innerhalb dieser Gruppe teilt man die gleichen Werte und Weltanschauungen und jedes einzelne Mitglied fühlt sich anerkannt, akzeptiert und geborgen, was den eigenen Selbstwert, die eigene Identität stärkt.
Das alles trägt zum Glück bei und kann das Wohlbefinden in allen Bereichen steigern.
Woran glaubt ein spiritueller Mensch?
Spirituelle Menschen fühlen sich weniger mit einem „Gott“ verbunden, als vielmehr mit einer höheren Macht, mit der Natur und allen Wesen. Sie begreifen sich selbst als einen Ausdruck dieser Schöpferkraft und sehen sich als gleichwertig mit allen anderen Lebewesen.
Es geht ihnen darum, sich weiter zu entwickeln, auf ihrem spirituellen Weg. Das erreichen sie unter anderem durch spirituelle Übungen wie Meditation und Gebete, aber auch dadurch, dass sie „Gutes“ tun und für sich und ihre Umwelt viel Positives „bewirken“.
Tiefschläge sehen sie nicht als „Strafe Gottes“, sondern als Chance, um daran zu wachsen und daraus zu lernen. Sie sehen das „Schicksal“ eines jeden als eine Art Übung, die das Leben stellt, um auf dem spirituellen Pfad voranzukommen.
Zum Leben gehört es auch dazu, zu scheitern und Fehler zu machen, um daran zu wachsen. Alles, auch Widrigkeiten hat für gläubige Menschen einen höheren Sinn und gehört zu einem größeren, für manche auch einem göttlichen Plan.
Aus dieser Sicht auf das Leben ziehen spirituell gläubige Menschen sehr viel Lebenssinn. Und Bedeutung für ihres eigenes Sein, ihre Motivation, ihr Denken und Handeln.
Die 7 Grundprinzipien von Spiritualität
Egal wie unterschiedlich die Ausprägungen auch sein mögen, in allen Religionen und spirituellen Lehren gibt es einige Grundprinzipien, die sie gemeinsam haben. Allen voran der Glaube an eine höhere Macht. Eine Form von Energie, die allem innewohnt und alles durchdringt. Eine Art schöpferische Urkraft, die alles erschaffen hat. Dieser Idee schließen sich auch manche Atheisten an.
Ziel eines jeden spirituellen Menschen ist es, sich wieder mit dieser schöpferischen Kraft zu verbinden, von der er ein Teil ist, auch wenn er sich dessen nicht (immer) bewusst ist. Und genau darum geht es: das Bewusstsein für diese Schöpferkraft (wieder) zu entwickeln, zu verstärken und sich wieder mit ihr eins zu werden.
1. Der Glaube an eine höhere Macht
Spirituelle Menschen glauben an eine höhere Kraft. Ob diese nun Gott, großer Geist, Buddha oder einfach nur Energie genannt wird – es gibt eine alles umfassende und alles durchdringende Kraft. Diese schöpferische Energie wohnt allem inne: der Natur, dem Kosmos, uns Menschen, etc.. Aus ihr kommt alles und zu ihr geht alles zurück.
2. Wir sind uns dieser „höheren Kraft“ im Alltag nicht bewusst
Unsere Wahrnehmung, unser Denken und Fühlen ist sich dieser alles umfassenden Kraft nicht (immer) bewusst. Mir nehmen uns nicht als eins mit der Schöpfung wahr, sondern sehen uns als von ihr getrennt. Spirituelle Menschen glauben daran, dass das eine Täuschung ist. Sie glauben, dass alles, was existiert, eine Manifestation des Göttlichen, bzw. einer höheren Kraft ist – auch wir.
3. Die „Täuschung“ lässt uns leiden
Spirituelle Menschen glauben, dass die Täuschung, sich getrennt von aller Schöpfung zu fühlen, nicht nur falsch ist, sondern auch der Grund für unser Leiden. Wir würden nicht wegen der Umstände, die das Leben mit sich bringt, leiden, sondern weil wir uns nicht mehr eins fühlen mit der Schöpfung.
4. Jeder Mensch kann die „höhere Wirklichkeit“ erfahren
Egal ob Religionen, oder andere spirituelle Weisheitslehren – sie alle besagen, dass es für jeden Menschen möglich ist, dieses Einssein mit der schöpferischen Kraft zu erfahren. Für viele ist es sogar der Sinn und Zweck unseres menschlichen Daseins.
5. Spirituelle Übungen können uns dabei helfen, das Einssein zu erfahren
Unter anderem durch Meditationen, Gebete und auch andere spirituelle Praktiken soll es uns möglich werden, uns wieder mit dem Göttlichen verbunden zu fühlen und uns der schöpferischen Kraft bewusst zu werden, die alles durchdringt.
6. Das Leben ist eine Schule
Alles, was wir erleben, ist nicht einfach nur Zufall. Das Leben hat einen Sinn: Es gibt uns genau die Erfahrungen, die wir für unseren Weg brauchen, um in unserer spirituellen Entwicklung weiter zu kommen. Das zumindest glauben spirituelle Menschen. Karma, oder auch Schicksal, wird uns „geschickt“, um daran zu wachsen. Wer sich aus freien Stücken und ganzem Herzen für eine gute Sache engagiert, wird auf dem spirituellen Weg voranschreiten.
7. Die Gnade Gottes – oder auch der höheren Wirklichkeit
Ebenfalls allen Religionen und spirituellen Lehren gemeinsam ist der Glaube an die Gnade. Damit ist die subjektiv unverdiente und nicht bewusst herbeigeführte Hilfe eines Gottes, oder einer anderen höheren Kraft gemeint. Gnade kann aber auch Nachsicht, Erbarmen, Vergebung, Hilfe oder Schutz meinen (siehe der althochdeutsche Begriff: Ginada)
Wie drückt sich Spiritualität aus?
An Hand von Fragebögen hat der Autor Arndt Büssing sieben Faktoren identifiziert, durch die sich Spiritualität ausdrücken kann:
1. Gebet, Gottvertrauen und Geborgenheit,
2. Erkenntnis, Weisheit und Einsicht,
3. Transzendenz-Überzeugung
4. Mitgefühl, Großzügigkeit und Toleranz,
5. Ein bewusster Umgang mit anderen, sich selbst und der Umwelt,
6. Ehrfurcht und Dankbarkeit,
7. Gleichmut und Meditation.
Welche spirituellen Rituale gibt es?
– Gebete
– Meditationen
– körperliche und geistige Reinigungsrituale
– Das Lesen von heiligen / spirituellen Texten
– Askese, wie beispielsweise Fasten
– Nächstenliebe, beispielsweise durch Spenden oder andere Wohltaten
– Kraftorte aufsuchen, unter anderem bei Wallfahrten, bzw. Pilgerfahrten
– spirituelle Musik
– Tanz
Wie kann man Spiritualität in den Alltag bringen?
Was ist ein spirituelles Erlebnis?
Etwas, was Du vielleicht selbst schon einmal erlebt hast: ein Gefühl tiefer Verbundenheit. Es geht darum, uns wieder mehr mit uns selbst zu verbinden, mit den Menschen, die uns umgeben und mit allem, was ist.
Musst Du dafür nach Nepal in ein Schweigekloster fahren? Nein, denn spirituelle Erlebnisse kannst Du auch in Deinem Alltag erfahren. Es ist nichts, was Du nur ausnahmsweise im Urlaub, oder in „außergewöhnlichen“ Momenten erleben kannst. Spiritualität ist zwar nichts alltägliches, aber Du kannst sie trotzdem jeden Tag erleben. Beispiel?
Fazit
Spirituelle Menschen praktizieren viele der Dinge, auf die auch die Positive Psychologie in ihren Studien gekommen ist, wenn es um ein glückliches Leben geht. Beispielsweise Sinnhaftigkeit zu erleben, dankbar zu sein, freundlich, großzügig und mitfühlend mit sich und anderen.
Das sind nur einige Beispiel dafür, wie ähnlich sich die Konzepte hinter Spiritualität und den Erkenntnissen der Positiven Psychologie in vielen Punkten sind. Wenn Dich spirituelles (Er-)Leben in irgendeiner Form anspricht, solltest Du es einfach mal ausprobieren.
Quellen
Ellison, C.G. und Levin, J.S. (1998)The religion-health connection: Evidence, theory and future directions
König, H.G., Pargament, K.I., Religious coping and health status in medically ill hospitalized older adults.
König, Hays, George, Blazer, Landerma, Modeling the cross-sectional relationship between religion, physical health, sovial support and depressive symptoms
Klonoff, Landrine, Believe in the healing power of prayer
Goethe-Universität Frankfurt am Main. 28. Juli 2016 – Der moderne Mensch und seine spirituelle Suche. Interview mit Michael Sievernich
Vaillant, Faith, Hope and Joy,
Religion und Spiritualität – Im Lärm der vielen Geister – NZZ
Arndt Büssing: VAS-Verlag für Akademische Schriften (2006)
Karl Baier, Josef Sikovits:Unterwegs zu einem anthropologischen Begriff der Spiritualität.Spiritualität und moderne Lebenswelt.Wien / Berlin 2006, S. 21.
Psychologie der Spiritualität. Weinheim 2014,ISBN 978-3-621-28142-3