Spätestens seit Giulia Enders Bestseller „Darm mit Charme“ haben wir es alle auf dem Schirm: das Mikrobiom. Diese Millionen von Bakterien, Viren, Pilze und Archaeen sind laut einem Interview, das Professor Rob Knight, von der University of California der BBC gegeben hat – in unserem Körper sogar in der Überzahl. Will heißen: Unsere menschlichen Zellen machen von der Anzahl her nur 43% unseres Körpers aus. Wir bestehen folglich zu 57% – aus unserem Mikrobiom!
Kein Wunder also, dass unser Mikrobiom enormen Einfluss auf uns hat und von großer Bedeutung für unsere körperliche und auch geistige Gesundheit ist: Es hält uns täglich am Leben – und hat sogar Auswirkungen auf unsere Stimmung!
Unser Darm ist ein unterschätztes Organ
Alles fing angeblich in Giulia Enders Studenten-WG an, in der einer ihrer Mitbewohner sie fragte: „Wie läuft das eigentlich mit dem K*n ab, Giulia?“ Die Medizinstudentin recherchierte – und heraus kam 2012 ihr Science Slam mit dem Namen: „Darm mit Charme„. Kurze Zeit später veröffentlichte sie dann ihr gleichnamiges Buch, das mittlerweile millionenfach verkauft und in über 40 Sprachen übersetzt wurde. Ein Bestseller!
Darm mit Charme – ein Überraschungserfolg
Charmant, unterhaltsam und informativ wusste Giulia Enders von Anfang an über unseren Darm Erstaunliches zu berichten. Ihre Begeisterung für dieses „unterschätzte“ Organ ist ihr dabei in jedem Kapitel anzumerken. Ihre Schwester garnierte den „tabulosen“ Inhalt mit witzigen Illustrationen – und fertig war der Überraschungserfolg.
Heute ist Giulia Enders ausgebildete Ärztin und wen wundert´s – gerade dabei ihren Facharzt im Bereich Gastroenterologie zu machen. Sie sagt, der Darm verfügt über Nervenzellen, die es sonst nur im Gehirn gibt. Der Darm ist sozusagen unser „Bauchgehirn“.
Was ist das Mikrobiom?
Unser Mikrobiom ist die Gesamtzahl aller Mikroben, die uns besiedeln. Es ist ein komplexes Ökosystem, dass vor allem in unserem Darm, aber auch auf unserer Haut und auf allen unseren Schleimhäuten vorkommt. Insgesamt wiegt es bei Erwachsenen nicht mehr als etwa 3 Kilo. Zahlenmäßig gibt es aber mehr Mikroben in und auf uns, als wir körpereigene Zellen haben.
Wofür brauchen wir das Mikrobiom?
Unser Darm-Mikrobiom beispielsweise trainiert unser Immunsystem, es spaltet unsere Nahrung auf und stellt uns so unter anderem etliche Vitamine zur Verfügung. Darüber hinaus überwacht das Darmmikrobiom unseren gesamten bakteriellen und hormonellen Zustand und gibt diese Informationen an unser Gehirn weiter. Kurz: Unser Mikrobiom funktioniert wie ein eigenständiges „Organ“, das mit uns zusammen arbeitet, uns gut ernährt und gesund hält.
Kleines Beispiel: Die Mikroben unseres Darms spalten aus dem Nahrungsbrei unter anderem Fettsäuren ab, mit denen sie unsere Darmzellen pflegen. Unsere kleinen Mitbewohner sorgen so dafür, dass unsere Darmschleimhaut gesund und leistungsfähig bleibt.
Ist der Darm mit genügend dieser „guten“ Bakterien besiedelt, können sich keine krankmachenden (pathogenen) Erreger ansiedeln. Ein gesundes Darmmikrobiom stärkt also die sogenannte „Darmbarriere“ und hält schädliche Bakterien in Schach.
Was beeinflusst unser Mikrobiom?
Unser Mikrobiom wird uns zunächst einmal vererbt. Danach wird es von vielen unserer Entscheidungen beeinflusst: von unserer Veranlagung, unserer Ernährung, von allem, was wir in den Mund nehmen, von unserem Wohnort, von Medikamenten und vielem anderen mehr. Unser kompletter Lifestyle hat demnach Einfluss darauf, welche und wie viele unterschiedliche Bakterienstämme sich in unserem Darm ansiedeln. Bei einem gesunden Mikrobiom sind das über 1000 verschiedene Bakterienarten.
Der Darm steuert unseren Gemütszustand
Der Darm, so sagt Enders, ist ein „fühlendes“ Organ. Er kann die Hormone in unserem Blut überprüfen und den Nahrungsbrei analysieren. Über die Nerven und das Blut schickt er unserem Gehirn dann Signale über unser Befinden. Wenn Du das nächste mal also schlechte Laune hast, könnte es unter Umständen nicht an Deiner nervigen Umwelt liegen, sondern an Deinem eigenen Lifestyle.
„Manchmal kommen unsere Stimmungen nicht von außen, sondern es kann sich lohnen, auch mal nach innen zu hören und sich zu fragen: Was hab ich heute eigentlich gegessen? Wie viel Stress hatte ich? Statt den Grund für unsere bisweilen schlechte Stimmung immer nur im Außen zu suchen“, meint Medizinerin Giulia Enders.
Das ist ja zum Kotzen! An dieser Äußerung sieht man unter anderem: Das Bauchgefühl gibt es wirklich
Irgendwie haben wir es ja schon immer gewusst: Unser Darm hat (uns) viel zu sagen und kann uns wertvolle Informationen über unseren Gemütszustand liefern. Redewendungen wie: „Das ist ja zum Kotzen“, oder „Mir steht´s bis hier oben“, oder auch „das muss ich jetzt erstmal verdauen“, und „dem ist ja eine Laus über die Leber gelaufen“, zeigen es deutlich.
Insgeheim wissen wir, dass uns unser Verdauungssystem ein wichtiger Ratgeber und ein Gradmesser für unsere Gefühlslage ist – jetzt folgen nach und nach auch die wissenschaftlichen Beweis dafür.
Wie der Darm unser Gehirn steuert
Unser Gehirn wird von verschiedenen Stellen unseres Körpers mit Informationen beliefert, unter anderem von unserem Darm. Das erstaunliche ist aber: 95% der Informationen werden laut Enders vom Darm zum Hirn geschickt. Umgedreht sieht es eher mager aus, mit der Kommunikation. Es ist also fast ein Monolog, den unser Darm unserem Hirn hält. Aber das Gehirn schickt natürlich gelegentlich mal eine Information an den Darm: Allerdings nur, wenn „es brennt“ – also zum Beispiel bei Gefahr und Angst.
Die Kommunikation zwischen Darm und Hirn funktioniert über die Darm-Hirn-Achse
Funkspruch 1: Hirn funkt an Darm
Wenn das Gehirn an unseren Darm Signale schickt, zum Beispiel, weil wir gerade Angst vor einer Prüfung haben, kann es zum Beispiel zu nervösem Durchfall kommen. Der Darm wird dadurch Material los, mit dem er sich nicht mehr beschäftigen muss. Er erleichtert sich (und uns) also im wahrsten Wortsinn und spart so dem Körper wichtige Energie, die er sonst für die Verdauung benötigt hätte. Über die freigewordene Energie darf jetzt unser Gehirn verfügen.
Funkspruch 2: Darm funkt an Hirn
Unser Gehirn sitzt gut geschützt zwischen unseren bis zu 30 Schädelknochen und ist da oben aber gleichzeitig auch ziemlich isoliert. Es ist folglich auf „Berichterstatter“ angewiesen, um zu wissen wie es uns und unserem Körper so geht.
Einer der eifrigsten „Korrespondenten“ des Gehirns ist unser Darm. Er verfügt über zahllose Rezeptoren, über die er wiederum erfährt, welche Hormone gerade in unserem Blut herumschwimmen, wie die Qualität unserer Nahrung war, wie fit gerade unser Immunsystem ist, welche ungewünschten Bakterien sich gerade in uns tummeln, kurz: Der Darm weiß Bescheid. Und gibt seine Informationen an das Gehirn weiter.
Unser Gehirn wiederum leitet dann die nötigen Schritte ein, um uns wieder in Balance zu bringen.
Wie genau kommen die Informationen vom Darm in unser Gehirn?
Von außen her ist unser Gehirn durch Schädelknochen geschützt. Von innen schützt die sogenannte Blut-Hirn-Schranke unsere empfindliche „Steuerzentrale“. Durch diese Schutzschicht gelangen nur wenige Stoffe, wie beispielsweise Zucker, Mineralstoffe und sogenannte „neuronale“ Botenstoffe.
Unser Mikrobiom stellt unter anderem Aminosäuren, also Eiweißbausteine her, die diese Blut-Hirn-Schranke ebenfalls überwinden können. Darunter befinden sich Tyrosin und Tryptophan, die in unserem Hirn in Dopamin und Serotonin umgewandelt werden.
Dopamin ist ein sogenannter „Neurotransmitter“, der bei Belohnung ausgeschüttet wird. Serotonin wiederum macht uns zufrieden und schläfrig. Unser Mikrobiom belohnt uns also dafür, wenn wir ihm gesunde Nahrungsmittel zur Verfügung stellen – mit guten Gefühlen.
Wie können wir Darm-verträglich essen?
Wir sollten in Ruhe essen, meint Giulia Enders. Und unserem Bauch auch genügend Zeit geben, um die Nahrung zu verdauen. Ein schnell runter gewürgtes Essen mag er nicht. Er mag an sich keine Hektik, sondern hat es lieber gemütlich. Ihm „schmeckt“ Vollkornbrot auch viel besser, als Weißbrot. Warum? Weißbrot wird quasi bereits im Mund aufgespalten und verdaut. Die in Weißbrot enthaltene Stärke lässt daraufhin unseren Blutzuckerspiegel in die Höhe schnellen.
Vollkornbrot, in dem das gesamte Korn enthalten ist, muss dagegen langsamer im Darm verdaut werden. Sämtliche Darmbakterien sind bei diesem Prozess gefragt und werden dadurch auch selbst gut versorgt. Außerdem steigt unser Blutzuckerspiegel langsamer und das ist angenehmer für den gesamten Körper. Das Gleiche wie bei Vollkornprodukten passiert auch bei Gemüse, Salat und Obst. Weil vollwertige Nahrung unseren Darmmikroben schmeckt, macht sie auch uns gesund und happy.
Umgedreht gilt auch: Fertigprodukte und sogenannte Transfette beeinflussen unser Mikrobiom tendenziell negativ. Weil die „guten“ Bakterien damit nicht ernährt werden, können sich ungünstige Bakterien in unserem Darm ansiedeln, was zu Übergewicht und entzündlichen Prozessen führen kann.
Welche Nahrungsmittel halten unser Mikrobiom gesund?
Probiotische Nahrungsmittel
Probiotika sind Mikroorganismen, also lebende Bakterien und Hefepilze, die in milchsauren Produkten vorkommen. Laut Studien hemmen sie, genauso wie auch unsere freundlichen Darmbakterien, das Wachstum schädlicher Keime und deren Anhaftung an die Darmschleimhaut. Sie können Entzündungen lindern, das Immunsystem stärken und die Darmbewegung verbessern. In großer Anzahl kommen sie zum Beispiel in fermentierten Lebensmitteln vor.
Welche probiotischen Lebensmittel gibt es?
Zu den probiotischen Lebensmitteln zählen unter anderem Sauerkraut, Kimchi, Sauerteigbrot, Wasserkefir, Joghurt mit lebenden Milchsäurebakterien, Kefir, Buttermilch, Tempeh und Miso. Schau gerne mal unter „Wohltaten“ nach, da wirst Du fündig, wie Du Dir einige dieser gesunden Lebensmittel selbst herstellen kannst.
Präbiotische Nahrungsmittel
Unter Präbiotika versteht man eine Form von Ballaststoffen, die die „freundlichen“ Bakterien in unserem Darm ernähren. Diese können daraufhin Nährstoffe für uns und unsere Darmzellen produzieren, was zu einem gesünderen Verdauungssystem führt und somit viele gesundheitliche Vorteile für uns hat.
Welche präbiotischen Lebensmittel gibt es?
Zu den präbiotischen Lebensmitteln gehören unter anderem Spargel, Knoblauch, Zwiebeln, Kartoffelsalat, Chicorée, Radicchio, Löwenzahn, Lauch, Spargel, Gerste, Äpfel, Hafer, Leinsamen, und viele andere mehr – am besten jeweils in Bio-Qualität. Sie können das Wachstum und die Aktivität unserer guten Bakterien anregen.
Was bringt den Darm zusätzlich auf Trab?
Neben einer gesunden und abwechslungsreichen Ernährung, in der auch viele pro- und präbiotische Lebensmittel vorkommen, sollten wir auch ausreichend trinken (circa 2l täglich als Faustregel) und entsprechend mehr, wenn wir viel schwitzen, weil es zum Beispiel heiß ist, oder wir Sport treiben.
Was darüber hinaus noch für einen guten „Transport“ sorgt, ist ausreichend Bewegung. Schon ein 30-minütiger Spaziergang etwa tut nicht nur unserer Stimmung, sondern auch unserem Darm gut. Wohlbefinden pur. Wie gut willst Du wissen – dann lies gerne auch nochmal in diesem Artikel nach: Spazieren gehen die unterschätzte Bewegung.
Fazit:
Es lohnt sich in mehrfacher Hinsicht sich gut zu ernähren: Wenn wir unserem Mikrobiom die richtigen Lebensmittel anbieten, belohnt es uns nicht nur mit einem intakten Immunsystem und „gepflegten“, vitalen Zellen, sondern sorgt auch noch für gute Laune.
Wer mehr über den Darm wissen will, sollte sich das Buch von Giulia Enders „Darm mit Charme“ einmal näher ansehen.
Weitere Links um Dein Wohlbefinden zu steigern:
- Der Ernährungskompass
- Geheimnis gelüftet: wie sich Kinder gesund ernähren
- Unser erstaunliches Immunsystem
- Wasserkefir – einfach gemacht und so gesund!
- Die Rosinenübung
Quelle:
More than half of your body is not human – BBC News
Zheng D, Liwinski T, Elinav E. Interaction between microbiota and immunity in health and disease. Cell Res. 2020;30(6):492-506. doi:10.1038/s41422-020-0332-7
hreiner AB, Kao JY, Young VB. The gut microbiome in health and in disease. Curr Opin Gastroenterol. 2015;31(1):69-75. doi:10.1097/MOG.0000000000000139
Myclevelandclinic.org (n.d) Probiotics: what it is, benefits, side-effects, food and types
Nccih.nih.gov (n.d) Statistics from the National Health Interview Survey
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Bull MJ, Plummer NT. Part 1: The human gut microbiome in health and disease. Integr Med (Encinitas). 2014;13(6):17-22.
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