Kennst Du das Gefühl? Dir ist etwas nicht perfekt gelungen und zack: kritisierst Du Dich scharf dafür. Das mag zwar menschlich sein – aber es ist auch extrem anstrengend! Doch es gibt einen Weg, Deinen innernen Kritiker zu stoppen und stattdessen mehr Liebe und Mitgefühl für Dich zu entwickeln. Der Schlüssel heißt: Selbstmitgefühl.
In diesem Artikel erfährst Du, was hinter dem Konzept steckt und wie Du es ganz praktisch und einfach in Deinen Alltag integrieren kannst.
Geht los!
Was ist Selbstmitgefühl?
Angenommen, Deiner besten Freundin geht es gerade nicht gut. Was tust Du? Du verurteilst sie nicht, selbst wenn sie einen Fehler gemacht hat. Stattdessen ermutigst Du sie, sich selbst so zu akzeptieren, wie sie ist – mit all ihren Fehlern und Schwächen. Und Du sagst ihr, dass sie liebenswert ist. Das nennt man Mitgefühl und Empathie.
Wenn Du so auch Dich selbst behandelst, ist das Selbstmitgefühl: sich selbst mit der gleichen Freundlichkeit, Fürsorge und Unterstützung zu behandeln, wie Du Deine beste Freundin behandelst.
Die Bedeutung von Selbstmitgefühl
Das Konzept stammt aus der Positiven Psychologie und gilt als ein zentraler Faktor für ein erfülltes, glückliches und gesundes Leben.
Studien haben gezeigt, dass Selbstmitgefühl beispielsweise mit einer besseren Bewältigung von Stress und einem niedrigeren Niveau von Angst und Depression einhergeht (Sirois & Rowse, 2016).
Statt sich ständig zu kritisieren und zu verurteilen, bedeutet es, sich zu unterstützen und zu trösten, die eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren und trotzdem freundlich und mitfühlend mit sich umzugehen. Diese Akzeptanz führt zu einer höheren Selbstachtung und zu mehr Selbstvertrauen (Neff, 2011).
Diese Haltung sorgt dafür, dass wir eine tiefere Verbindung zu uns selbst – und auch zu anderen entwickeln.
Kristin Neff und die Positive Psychologie
Kristin Neff, Ph.D., ist eine Pionierin auf dem Gebiet des Selbstmitgefühls und eine führende Expertin in der Positiven Psychologie. Sie hat zahlreiche Studien durchgeführt, die die positiven Auswirkungen von Selbstmitgefühl auf das psychische Wohlbefinden belegen (Neff, 2011).
Die 3 Säulen des Selbstmitgefühls
Selbstmitgefühl besteht laut der führenden Forscherin, Kristin Neff, aus drei zentralen Faktoren:
- Freundlichkeit zu sich selbst: Selbstmitgefühl bedeutet, freundlich und verständnisvoll mit uns selbst umzugehen, wenn wir leiden, versagen oder uns unzulänglich fühlen. Kristin Neff beschreibt es als den inneren Dialog, den wir mit uns selbst führen: „Statt kalt oder hart zu uns zu sein, sind wir warmherzig und unterstützend, wenn wir mit den Unvollkommenheiten des Lebens konfrontiert werden.“ Indem wir uns selbst wie einen guten Freund behandeln, können wir uns sicher fühlen und besser mit den Herausforderungen des Lebens umgehen.
- Menschlichkeit: Selbstmitgefühl ist verwurzelt in unserer gemeinsamen Menschlichkeit. Wenn wir kämpfen oder Fehler machen, gibt es oft ein irrationaler, aber weit verbreitetes Gefühl der Isolation – als ob „ich“ die einzige Person auf der Welt wäre, die diese schmerzhafte Erfahrung macht. Alle Menschen leiden jedoch. Nicht auf die gleiche Weise oder im gleichen Maße, aber die Definition von „menschlich sein“ bedeutet, verletzlich, fehlerhaft und unvollkommen zu sein. Kristin Neff betont: „Wenn wir selbstmitfühlend sind, erkennen wir, dass unser Leiden uns verbindet, anstatt uns von anderen zu trennen.“ Indem wir uns bewusst machen, dass alle Menschen Fehler machen und leiden, können wir uns selbst und anderen mit mehr Verständnis und Mitgefühl begegnen.
- Achtsamkeit: Selbstmitgefühl erfordert einen ausgewogenen, achtsamen Umgang mit unserem Leiden, damit wir unsere Gefühle weder unterdrücken noch übertreiben. Sich selbst so zu behandeln, wie wir einen Freund behandeln, bedeutet, dass wir unsere übliche Haltung verlassen und unsere eigene Situation iaus einer anderen, besseren Perspektive betrachten. Achtsamkeit verhindert, dass wir uns mit schwierigen Gedanken und Gefühlen „überidentifizieren“. Wie Kristin Neff sagt: „Selbstmitgefühl erfordert, dass wir uns unserem Schmerz mit Akzeptanz zuwenden.“ Durch Achtsamkeit können wir unsere Gedanken und Gefühle bewusst wahrnehmen, ohne von ihnen überwältigt zu werden.
Diese drei Komponenten des Selbstmitgefühls – achtsames Gewahrsein, Menschlichkeit und Freundlichkeit zu uns selbst – bilden zusammen das Fundament, das es uns ermöglicht, uns selbst liebevoller und mitfühlender zu behandeln.
Die Positive Wirkung von Selbstmitgefühl
Studien haben gezeigt, dass Selbstmitgefühl mit zahlreichen positiven Auswirkungen auf unser Leben verbunden ist. Eine Meta-Analyse von MacBeth und Gumley (2012) ergab, dass Selbstmitgefühl stark mit einem reduzierten Stressniveau und einer verbesserten psychischen Gesundheit verbunden ist. Menschen, die Selbstmitgefühl praktizieren, neigen dazu, weniger Stress zu erleben und zeigen niedrigere Raten von Depressionen, Angstzuständen und Burnout-Symptomen (Neff, 2011).
Des Weiteren hat eine Studie von Barnard und Curry (2011) gezeigt, dass Selbstmitgefühl dazu beiträgt, das Selbstwertgefühl zu stärken und eine positive Selbstwahrnehmung zu fördern. Menschen, die sich selbst mit Freundlichkeit und Verständnis behandeln, entwickeln ein gesünderes Selbstbild und sind weniger anfällig für negative Selbstkritik und Selbstzweifel.
Zusätzlich wurde in einer Studie von Breines und Chen (2012) festgestellt, dass Selbstmitgefühl mit einer größeren Fähigkeit zur Bewältigung von Lebensstressoren und einer erhöhten Resilienz verbunden ist. Menschen, die Selbstmitgefühl praktizieren, sind besser in der Lage, mit Herausforderungen umzugehen und schwierige Situationen zu bewältigen, ohne sich von negativen Gedanken und Emotionen überwältigen zu lassen.
Insgesamt zeigen diese Studien, dass Selbstmitgefühl ein wirksamer Schutzfaktor für psychische Gesundheit und Wohlbefinden ist. Indem wir uns selbst mit Freundlichkeit, Verständnis und Akzeptanz behandeln, können wir Stress reduzieren, unsere psychische Gesundheit verbessern und eine tiefere Verbindung zu uns selbst und anderen entwickeln.
Fünf Praktische Übungen zur Stärkung des Selbstmitgefühls
Jetzt fragst Du Dich wahrscheinlich, wie Du Selbstmitgefühl in Dein Leben integrieren kannst. Hier sind fünf praktische Übungen, die Dir dabei helfen können:
- Selbstmitgefühlsbrief schreiben: Setz dich hin und schreibe einen Brief an Dich selbst, in dem Du Dir mitfühlende und unterstützende Worte gibst. Betone dabei Deine Menschlichkeit und Akzeptanz, anstatt Dich selbst zu kritisieren.
- Mitgefühlsmantra entwickeln: Überlege Dir ein kurzes und prägnantes Mantra oder eine Affirmation, die Deine Fähigkeit zur Selbstmitgefühl stärken kann. Wiederhole es regelmäßig, um Dich zu ermutigen und zu unterstützen.
- Mitgefühlsmeditationen: Setz Dich hin, atme tief ein und aus und praktiziere eine kurze Mitgefühlsmeditation, wie die der liebevollen Güte: „Möge ich glücklich sein. Möge ich sicher sein. Möge ich in Frieden sein.“
- Selbstmitgefühlsjournal führen: Führe ein Tagebuch, in dem Du Deine Gedanken, Gefühle und Erfahrungen mit Selbstmitgefühl festhältst. Reflektiere über Deine Erfolge und Misserfolge und ermutige Dich selbst, liebevoller mit Dir umzugehen und Dich zu unterstützen.
- Selbstmitgefühlswünsche aussprechen: Nimm Dir jeden Tag einige Minuten Zeit, um Mitgefühlswünsche für Dich selbst auszusprechen. Verwende freundliche und unterstützende Worte, um Dich zu ermutigen und zu stärken.
- Selbstfreundlichkeit: Nimm Dir jeden Tag einen Moment Zeit, um Dir selbst etwas Nettes zu sagen. Das kann eine einfache Ermutigung oder ein liebevolles Mantra sein, das Dir Mut macht und Dich daran erinnert, dass Du es wert bist, freundlich zu Dir selbst zu sein.
- Gemeinsame Menschlichkeit: Reflektiere darüber, dass Du nicht allein bist mit Deinen Herausforderungen und Schwierigkeiten. Denke an andere Menschen in ähnlichen Situationen und erkenne, dass Leiden ein Teil des menschlichen Lebens ist. Verbinde Dich mit anderen in Deinem Umfeld und teile Deine Erfahrungen und Gefühle.
- Achtsames Gewahrsein: Praktiziere regelmäßig Achtsamkeitsübungen wie Meditation oder Atemübungen, um Dich selbst besser wahrzunehmen und mitfühlender mit Dir selbst umzugehen. Nimm Dir bewusst Zeit, um Deine Gedanken und Gefühle zu beobachten, ohne sie zu bewerten oder zu verurteilen.
Kritik und Grenzen des Konzepts „Selbstmitgefühl“
Kritiker sind der Meinung, das Konzept sei zu weich oder selbstgerecht. Ihrer Meinung nach bringe uns Selbstmitgefühl dazu, keine Eigenverantwortung zu übernehmen. Neff dagegen sagt, es gehe darum, dass Freundlichkeit und Verständnis uns erst dazu befähigen, uns weiter zu entwickeln und wachsen zu können.
Damit bestätigt sie, was auch die renommierte Wissenschaftlerin Barbara Fredrickson in ihren aufsehnerregenden Studien über Emotionen herausgefunden hat.
Fazit
Selbstmitgefühl ist ein wesentlicher Bestandteil eines erfüllten und gesunden Lebens. Indem wir lernen, uns selbst mit Freundlichkeit, Verständnis und Akzeptanz zu behandeln, können wir unsere psychische Gesundheit stärken und eine tiefere Verbindung zu uns selbst und anderen entwickeln.
Probiere die praktischen Übungen einfach mal selbst aus und beobachte, wie sich Dein Leben verändert. Und dann – urteile selbst. Und falls Du der Meinung bist, dass auch Deinen Lieblingsmenschenen etwas mehr Selbstgefühl gut tun würde, teile den Artikel gerne – und schick ihn gleich weiter!
Viel Spaß dabei!
Deine Wohlfinderei
Quellen:
- Selfcompassion by Kristin Neff
- Neff, K. D. (2003). Self-compassion: An alternative conceptualization of a healthy attitude toward oneself. Self and Identity, 2(2), 85–101. DOI: 10.1080/15298860309032
- Neff, K. D. (2011). Self-compassion, self-esteem, and well-being. Social and Personality Psychology Compass, 5(1), 1–12. DOI: 10.1111/j.1751-9004.2010.00330.x
- MacBeth, A., & Gumley, A. (2012). Exploring compassion: A meta-analysis of the association between self-compassion and psychopathology. Clinical Psychology Review, 32(6), 545–552. DOI: 10.1016/j.cpr.2012.06.003
- Barnard, L. K., & Curry, J. F. (2011). Self-compassion: Conceptualizations, correlates, & interventions. Review of General Psychology, 15(4), 289–303. DOI: 10.1037/a0025754
- Breines, J. G., & Chen, S. (2012). Self-compassion increases self-improvement motivation. Personality and Social Psychology Bulletin, 38(9), 1133–1143. DOI: 10.1177/0146167212445599